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Andrzej Szpilman - Bio

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Andrzej Szpilman begann seine Musiker Ausbildung 1962 bei Prof. Stefan Kawalla (Geige) und setzte sie von 1965 bis 1974 an der 4. Staatlichen Musikschule in Warschau fort.

Seine ersten Musikaufnahmen produzierte er 1976 für den Polnischen Rundfunk.

In dieser Zeit entstanden die ersten Songs (u.A. Slonce tego lata“, "Od dnia do dnia" - Texte Renata Maklakiewicz, „Gandzia“/ „Andzia i ja“ (mit Marcin Ciepiel) und „Wyglada to na zart“ (mit K. Winkler.) für die populären polnischen Sänger: I. Santor, H. Banaszak, G. Switala, B. Mec, J. Kruk u.A.
Ab 1980 produzierte er einige Musiksendungen für Fernsehnanstalten.
1983 produzierte er die Schallplatte der Rockgruppe „Oddzial Zamkniety“ (Geschlossene Abteilung). Mit über 450 000 verkauften Exemplaren wurde sie zur "Gold-Platte 1984“ .

1983 absolvierte Andrzej Szpilman Zahnmedizin an der Medizinischen Akademie zu Warschau.
1983 siedelte er nach Hamburg/ Deutschland um.
Bis 1988, arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Zahnarzt in der Abteilung für konservative Zahnheilkunde der Universität Hamburg. Danach setzte er seine Tätigkeit in der eigenen Zahnarztpraxis in Hamburg / Altona fort.

Andrzej Szpilman gründete 1987 in Altona ein Musikstudio wo er an seinen Kompositionen weiter arbeitete.
Zu dieser Zeit komponierte er für die Hamburger Staatsoper Ballettmusik „Incense“ (Choreographie Gamal Gouda), sowie Soundtracks für die Fernsehfilme „I tam zostane juz na zawsze“ und „Kolejka“ sowie einige Songs für den Polnischen Rundfunk.
1995 - 2004 arbeitet Andrzej Szpilman am Remastering der Gesamtaufnahmen (1968-1997 - 21 CDs) vom berühmten deutschen Songschreiber und Dichter Wolf Biermann wie auch führt Aufnahmen seiner weiteren Cds durch.

Auf Anregung Wolf Biermanns gab Andrzej Szpilman 1998 Tagebuch seines Vaters Wladyslaw Szpilman „Der Pianist“ beim deutschen Verlagshaus „Econ-Ullstein-List“ heraus. Kurz darauf folgte britische Ausgabe beim Verlag „Weidenfeld-Orion“.
„Der Pianist“ gewann sofort Anerkennung als wichtiges Dokument zum Thema Holocaust und ist schnell auf die internationalen Bestsellerlisten gestiegen. Es wurde als Buch des Jahres von mehreren internationalen Zeitungen (LA Times, Washington Post, Independent, ELLE, Wallstreet Journal, Lire) gewürdigt. Bis Heute wurde es in mehr als 35 Sprachen übersetzt.

2000-2002 arbeitete A. Szpilman als freier Mitarbeiter des Polnischen Rundfunks, organisierte einige TV-Konzerte und moderierte monatlich eine Talkshow: „Mikrophon für jeden“

In dieser Zeit unterstütze Andrzej Szpilman die Produktion des Roman Polanski -Films „Der Pianist“ und wirkte später bei der Promotion des Films in den USA, Schweiz, Italien, Österreich und Polen mit.

Ab 2002 ist er als unabhängiger Produzent für Universal Music, Sony Classics und Shermanrecords tätig und hat mehrere Cds, u.A. mit der Musik von Wladyslaw Szpilman herausgegeben. Wendy Lands singt Lieder vom Pianisten (2002) (Universal Music); Original Recordings by Wladyslaw Szpilman (2002); Works for Piano and Orchester by Wladyslaw Szpilman mit Ewa Kupiec - Klavier, John Axelrod - Direktor und dem Berliner Rundfunk Sinfonieorchester (2004); sowie Wladyslaw Szpilman - Legendary Recordings (2005) (Sony Classics) sind nur einige davon.

Gegenwärtig produziert er eine Fernsehndokumentation über das Leben von Wladyslaw Szpilman.

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Link Musik 2

Film



EIN SIEGESZUG GEGEN DAS VERGESSEN

Text Lukas Lessing

«Kommen Sie mit zur Probe! Schnell!» Szpilman sprintet voran, die Treppe hinauf, mit drei Päckchen Zigaretten in der einen und einer Flasche Cola in der anderen Hand, aber im ganzen Haus ist Rauchen verboten. Im grossen Saal singt Irena Santor die letzten paar Takte eines Liedes, von grossem Orchester begleitet. Als sie fertig ist, klatschen sogar die Putzfrauen. Szpilman hat die bekannteste polnische Chansonniere in die heiligen Hallen der Warschauer Philharmonie gebracht. Da steht sie, als ob sie es selbst nicht fassen könnte, hinter einem Mikrofon und vor einem ganzen Sinfonieorchester.
Das ist nicht die einzige Premiere dieses Abends, denn auf dem Programm steht ausschliesslich Wladyslaw Szpilman, in memoriam. Der grosse polnische Komponist, Pianist und polnische Radiodirektor, Überlebender des Warschauer Gettos, der seine wunderbare Rettung gleich nach dem Krieg niedergeschrieben hatte. Lange Jahrzehnte war das Buch, sein einziges, unzugänglich. In Polen verboten, da der jüdische Musiker nicht nur Schandtaten von Deutschen, sondern auch von Ukrainern, Litauern und Polen beschrieben hatte. Die Geschichte seines Überlebens, mit der Roman Polanski in Cannes die Goldene Palme gewann. Auch Szpilmans Musik ist erst jetzt auf CD zugänglich. Ein später Siegeszug gegen das Vergessen, von dem Szpilman nur den Beginn miterleben durfte: Vorletztes Jahr starb er in Warschau, 88-jährig.

Und Vater sagte kein Wort

Wer hier über die Gänge der Warschauer Philharmonie läuft, ist Szpilmans Sohn. «Setzen wir uns hierhin, nein dorthin, nein zuerst auf den Balkon, ich muss rauchen.» Der Sohn flitzt wie gejagt durch die Hallen, weil er das Werk seines Vaters wiederherstellen muss. Seinen ganzen Vater. Und letztlich sich selbst, denn die Geschichte seines Vaters ist auch seine eigene. Er hat sie sich erkämpft, das erste Mal mit zwölf Jahren. Damals hatte er das Buch seines Vaters im Bücherregal gefunden und heimlich gelesen, weil zu Hause nie über die Vergangenheit gesprochen wurde. Kein Wort über die Grosseltern, den Onkel und die Tanten, die in Treblinka vergast wurden. KeinWort über die Jahre im Getto und im Untergrund, kein Wort über die jüdische Herkunft der Familie. «Ich wollte kein Jude sein», sagt Andrzej Szpilman. Selbst nachdem der Junge das Buch gelesen hatte, schwieg der Vater. Als der erwachsene Sohn 1998 auf eigene Kosten für die Übersetzung des Buches ins Deutsche sorgte, für die Publikation in Deutschland, in Amerika:, in Frankreich, akzeptierte der Vater das wohlwollend, aber nicht mehr. «Zwei drei Seiten las er und merkte, das ist in Ordnung. Das war ihm genug», sagt der Sohn.

Endlich sitzen wir in der Kantine, zwischen Wänden voller vergilbter Karikaturen und Fotografien von Musikern. Die stellen sich am Nebentisch an, um Honorare entgegenzunehmen, bar aus einem dicken Geldscheinbündel. Szpilman grüsst hierhin, dorthin. Er kennt alle. «Polanski hat mir meine Kindheit wiedergegeben. Die sehe ich jetzt im Film. Mein Vater hat ihm dafür seine Kindheit gezeigt, in seinem Buch. Die eigene Kindheit im Getto hätte Polanski nie verfilmen können. Übrigens, wie gefällt Ihnen der Film?»
Gut. Er geht unter die Haut, sage ich, auch wenn er ein wenig konventionell ist. Das hätte ich lieber nicht sagen sollen. «Konventionell?» Szpilmans Augen werden noch ein bisschen schmaler. «Was meinen Sie mit konventionell? Bei uns heisst konventionell konservativ, und konservativ heisst rechts, und das ist schlecht. Ist dieser Film rechts?»
Erschrocken wehre ich ab. Nein, das nicht. Ich meinte ja nur. .. «Hätte das ein künstlerisches Experiment werden sollen? Etwas Unkonventionelles oder etwas ästhetisch ganz Aussergewöhnliches? Bei diesem Thema?» Ursprünglich hatte ich gedacht: Ja. Jetzt weiss ich nicht mehr. «Sehen Sie sich den Film nochmal an, zweimal, dreimal. Zwingen Sie sich, auch wenn Sie nicht wollen. Sie werden merken, wie perfekt er gebaut ist. Tempo, Rhythmus. Ich bin Musiker. Ich kann das beurteilen.»

Als das Buch auf Deutsch erschienen war, wollte die UFA sofort die Filmrechte, doch Andrzej Szpilman lehnte ab. Das verstand niemand, damals. Heute, nach Polanskis Verfilmung, nach der Goldenen Palme, fragt niemand mehr. «Ich wollte nicht noch einen deutschen Film darüber sehen», sagt Szpilman, «die Deutschen wollen diese Filme zwar machen, aber sie können es nicht.»
Für Szpilman ist das der wichtigste Film über den Holocaust. Über den Krieg. Kein Ausschnitt wie «Schindler's Liste», sondern die ganze Geschichte, vom Anfang bis zum Ende. Von der heilen Welt vor der Nazi-Okkupation, der intakten jüdischen Bürgerlichkeit, bis zum Tod unter Ruinen. Wie die Weltpremiere war, letzte Woche in Warschau? «Natürlich schrecklich», sagt Szpilman, «das ist ein schrecklicher Film. Oder finden Sie ihn lustig?»

Andrzej Szpilman sagt, was er denkt. Er beharrt auf dem, was er meint. «Der Film hatte am ersten Wochenende in Polen 160000 Zuschauer», sagt er. Das ist sehr gut, erwidere ich, ein wenig fragend, weil ich nicht weiss, wie viele Zuschauer einen Film in Polen zum Blockbuster machen. «Das ist nicht gut», brüllt Szpilman, «das ist sensationell!»
Dann muss er kurz weg, weil andere Journalisten warten, Fotografen, der Direktor der Philharmonie. Als er zurück kommt, ist er hungrig. «Gehen wir essen? Nehmen wir den Pianisten mit?» Schon läuft er, ihn zu holen, macht auf dem Absatz kehrt. »Ach was, der soll üben. Kommen Sie, wir gehen.»

Im Auto zum Restaurant des polnischen Schriftstellerverbandes hantiert Szpilman unruhig an seinem Mobiltelefon, eines mit Organizer und Tausenden Telefonnummern drin, denn es gibt ein Problem. Antoni Wit, der Dirigent des heutigen Abends, will plötzlich 5000 Dollar für die geplante Rundfunkaufzeichnung, vier Stunden vor dem Konzert, andernfalls müssten die Mikrofone wieder abgebaut werden. Der polnische Stardirigent verdient zwar ohnehin viel mehr als sonst, weil das Konzert von einer Bank gesponsert wird, aber das reicht ihm nicht. «Das lasse ich mir nicht bieten», sagt Szpilman, «ich rufe den Kulturminister an.»
Fünf Minuten später hat er den Mann am Telefon. Der ist seiner Meinung und verspricht zu intervenieren. Szpilman will, dass dieses Konzert in Radio zu hören ist, nicht nur in Polen, sondern auch in Deutschland, in ganz Europa, dafür will die European Broadcasting Union (EBU) sorgen. Ich esse noch, er hängt schon wieder am Telefon.
Auf dem Rückweg kaufen wir eine Luftmatratze. Ein englischer Musikjournalist wird heute bei ihm übernachten, angereist für das Konzert. Szpilman raucht nachdenklich. «Ich zahle das aus eigener Tasche», entfährt es ihm, «alleine, um den Dirigenten zu erniedrigen.» Er greift nach dem Handy, teilt seinen Entschluss dem Direktor der Philharmonie mit. «Dann steige ich am Abend auf die Bühne und teile das dem Publikum mit.»

Der Sohn, ein Multitalent

Szpilman ist ein Mann der kurzen Wege, der Unzähliges plant, ankündigt, hinaus posaunt und vielleicht nicht alles davon macht. Doch was er tut, ist ungefähr das Fünffache eines Durchschnittsmenschen: Rockmusiker war er, Komponist, Geiger. Jetzt ist er Musikproduzent, Radiomitarbeiter, Talkshowgast, Verleger. Medizin hat er auch studiert und als Zahnarzt in Hamburg praktiziert, nachdem er 1983 Polen verliess.

Zurück in der Philharmonie.

Die ersten Gäste des Abends steigen die Stufen hinauf, flankiert von Hostessen des Sponsors, dessen Transparent das Konzerthaus schmückt. Das macht Szpilman nichts, denn ohne diesen Sponsor hätte das Konzert nicht stattfinden können. Und es muss stattfinden. Mit Übertragung: Der Minister hat dafür gesorgt, dass erst aufgezeichnet und ,dann verhandelt wird. Ein glanzvolles Konzert, ausverkauft. Schwergängig im ersten Teil, mit den komplizierten Orchester- und Klavierkompositionen des Vaters, leichtgängig im zweiten mit seinen sentimentalen Schlagern.
Danach noch die Sponsorenparty, gegen Mitternacht Essen im Restaurant des Schauspielhauses. Am Nebentisch der Minister. Szpilmans Mutter ist dabei, die Witwe des Komponisten. Ein grosser Tag auch für sie, ein unfassbarer Tag. «Ich sah bei seiner Musik immer nur seine Hände am Klavier», sagt sie, «und jetzt ist da plötzlich ein ganzes Orchester.» Auch ihr anderer Sohn, ein Japanologe, ist angereist, aus Tokio. Das Tischgespräch dreht sich natürlich um Musik, um die nächsten Pläne. Eine CD-Produktion mit Musik des Vaters, in Los Angeles.

Herr Szpilman, was war der Beginn Ihrer Obsession für das Werk Ihres Vaters? Szpilman zögert keinen Moment: «Ich habe Ungerechtigkeit gesehen, Hass, Polenwitze. Aber Polen und Deutsche sind Nachbarn. Da stellt sich die Frage, was man will - Hass? Oder Frieden? Dieses Buch und dieser Film stiften Frieden, weil Frieden nur funktioniert, wenn die Vergangenheit geklärt ist. Der Film ist dazu da, damit die Zuseher aus der Geschichte lernen. Ich habe das getan.» Wie? «Meinem Sohn, der ist jetzt neun Jahre alt, habe ich die ganze Geschichte erzählt.» Der Sohn wollte sofort im Film mitspielen, als Statist. Wofür sein Vater gesorgt hat. <

Lukas Lessing lebt als freier Journalist in Berlin (LukasSLessi ngETcompuserve.com).

DAS MAGAZIN Tagesanzeiger Nr.38 v. 21.09.2002 Zürich




EDITORIAL


Vergessen und erinnern
Gibt es einen schöneren Namen für einen Musiker als Szpilman ? ( gesprochen: Spielmann) stammt aus Polen, hat als Komponist Landsleuten manches Werk geschenkt. Szpilman hat eine dramatische Biographie: Als einziger seiner Familie überlebte der Jude die Kriegsjahre im Warschauer Ghetto. ,,Das wunderbare Überleben" lautet der Titel seiner Erinnerungen. Im Econ-Verlag sind sie jüngst erstmals auf deutsch erschienen. Doch nicht etwa Wladyslaw Szpilman haben wir diese Veröffentlichung zu verdanken. Ein halbes jahrhundert nach dem Schrecken möchte der Musiker sich nicht mehr erinnern, möchte nichts anderes sein als ein ganz normaler alter Musiker. Doch sein Sohn Andrzej, ein in Hamburg praktizierender Zahnarzt, drängte den Vater, den Nachgeborenen vom Verdrängten zu erzählen. DS-Mitarbeiterin Ulrike Wilhelm hat Vater und Sohn Szpilman ins Gespräch gebracht. Da saßen Sie dann über Eck auf einer Couch und stritten darüber, was schwerer wiegt: das Recht des Opfers auf Ver- gessen oder das Recht der Kinder auf Wissen. Ein faszinierender, hoch emotionaler Disput, dessen Lektüre auf den Seiten 27 und 28 ich Ihnen besonders empfehlen möchte.
Tim Schleider - Stellvertretender Chefredakteur
Im Gespräch: Wladyslaw und Andrzej Szpilman


Laß mich vergessen
Das sagt einer, der das Warschauer Ghetto überlebt hat. Doch sein Sohn will alles wissen, und zwar ganz genau

VON ULRIKE WILHELM


Der jüdische Pianist und Komponist Wladyslaw Szpilman, 86, hat sich nach
Kriegsende seine Erinnerungen von der Seele geschrieben: In dem Buch,
das 1946 in Polen erschien, erzählt er, wie seine gesamte Familie
deportiert, er selbst jedoch von dem deutschen Offizier Wilm Hosenfeld
gerettet wurde. Danach hat er in den Erinnerungen nicht mehr gelesen.
Doch sein Sohn Andrzej, 41, konnte das Schweigen nicht hinnehmen. Der
Zahnarzt und Musiker, der vor 15 Jahren nach Deutschland emigrierte,
überredete seinen Vater, das Buch jetzt auf deutsch herauszugeben (»Das
wunderbare Überleben«, Econ Verlag). Außerdem hat er eine CD mit
Szpilman-Werken gemacht (»Ein musikalisches Porträt«, nur über den
Buchhandel erhältlich). Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn über eine
lebenswichtige Frage: erinnern oder schweigen?

Herr Szpilman, nach mehr als fünfzig Jahren werden die Erinnerungen aus
dem Warschauer Ghetto noch einmal lebendig. Was für ein Gefühl ist das?

Wladyslaw Szpilman: Ein furchtbares Gefühl. Ich bekomme Depressionen,
besonders jetzt im Alter. (Zu Andrzej): Warum soll ich darüber sprechen?
Ist das wichtig?

Andrzej Szpilman: Es ist sogar sehr wichtig.

Machen die Jahre es leichter, die Belastung auszuhalten?

Wladyslaw Szpilman: Nach dem Krieg habe ich wieder beim Polnischen
Rundfunk angefangen. Ich war so beschäftigt, daß ich keine Zeit hatte,
nachzudenken. Jetzt bin ich alt und muß viel daran denken. Ich sage
manchmal, daß ich schon zu lange lebe.

Wie ist das für Sie, Andrzej, Ihren Vater so leiden zu sehen?

Andrzej Szpilman: Es war bestimmt auch für mich nicht einfach, an dem Buch zu
arbeiten.

Wladyslaw Szpilman: Ach, der kann das doch nicht verstehen. Der kannte
meine Familie nicht - noch nicht einmal vom Bild. Alles ist verbrannt.

Andrzej Szpilman: Können Sie sich das vorstellen? Alles, was sich in den
anderen Familien über Generationen angesammelt hat, fehlt uns. Vor zwei
Wochen habe ich erstmals ein Foto meiner Großeltern gesehen.

Haben Sie Ihrem Sohn von Ihrer Familie erzählt?

Wladyslaw Szpilman: Nein.

Warum nicht?

Wladyslaw Szpilman: Wozu sollte ich ihm das erzählen? Der war jung! Er
hatte so ein Talent zur Musik, so ein gutes Leben. Sollte ich ihm ein
Gift mitgeben? Daß die Mutter und der Vater und zwei meiner Schwestern
und ein Bruder ins Gas geschickt wurden - sollte ich ihm das erzählen?

Haben Sie versucht, Andrzej die jüdische Kultur nahezubringen?

Wladyslaw Szpilman: Nein. Ich habe zu Hause auch keine jüdische Kultur
gepflegt.

Sie waren also assimiliert?

Wladyslaw Szpilman: Leider. Mein Vater war ein Geiger. Er mußte am
Freitag spielen.

Von Ihrer jüdischen Herkunft haben Sie erfahren, als Sie das Buch Ihres
Vaters stibitzten. Was hat das für Sie bedeutet?

Andrzej Szpilman: Noch nicht so viel, ich war zwölf Jahre alt.

Wladyslaw Szpilman: Die jungen Leute sind nach dem Krieg geboren und
sollen nichts darüber wissen, damit es sie nicht belastet.

War es richtig, daß Ihr Vater schwieg?

Andrzej Szpilman: Mein Vater hat das so entschieden.

Können Sie das respektieren?

Andrzej Szpilman: Ich habe keine Wahl gehabt.

Wladyslaw Szpilman: Wozu soll ich mit ihm darüber reden?

Andrzej Szpilman: Das ist meiner Meinung nach ein Fehler gewesen.

Warum?

Andrzej Szpilman: Als kleiner Junge mußte ich mir antisemitische Witze
anhören, und ich habe selbst damit angefangen, wie jeder andere
Antisemit. Dann mußte ich erfahren, daß ich selbst ein Jude bin. Ich
wollte es nicht glauben.

Fühlen Sie sich heute als Jude?

Wladyslaw Szpilman: Ich nicht. Ich bin ein Pole jüdischer Abstammung.
Ich habe meinen Namen auch nicht geändert. Und mein Sohn - soll er's
halten, wie er will.

Und? Wie halten Sie es?

Andrzej Szpilman: Ich bin halbe-halbe, sympathisiere aber mehr mit
meiner jüdischen Hälfte. Durch den Antisemitismus mancher Polen mag ich
meine polnische Hälfte weniger als die jüdische.

Wladyslaw Szpilman: Bei mir ist das anders. Die Musik ist meine
Identität.

Ihre Schlager liefen im polnischen Radio. Sie waren bekannt.

Andrzej Szpilman: Das ganze Land hat seine Lieder gesungen. Fragen Sie
ältere Menschen.

Herr Szpilman, woran denken Sie, wenn Sie das Wort deutsch hören?

Wladyslaw Szpilman: Ich fahre jedes Jahr nach Deutschland. Ich kenne
Orte, da waren Sie bestimmt noch nicht. Schwäbisch-Hall ist so ein
kleiner wunderbarer Ort.

Andrzej Szpilman: Die Frage war, womit du das Deutsche verbindest.

Wladyslaw Szpilman: Für mich war es erstaunlich, daß ein so großes und
zivilisiertes Kulturvolk Bücher verbrannt hat. Ich habe doch hier
studiert, in Berlin an der Hochschule für Musik, 1931/1932.

Hilft Ihnen die deutsche Musik, zu verzeihen?

Wladyslaw Szpilman: Nehmen Sie Bach! Kann man aufhören, Bach zu spielen?
Undenkbar. Oder Brahms, Beethoven? Das sind die größten Komponisten.

Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, der "Judenstern" sei für Sie wie
ein "Brandmal am ürmel" gewesen.

Wladyslaw Szpilman: Ich konnte das nicht ertragen und habe damals eine
Depression bekommen. Zwei Monate habe ich im Bett gelegen und wollte
überhaupt nicht mehr aufstehen.

Den anderen Menschen hat möglicherweise der Glaube geholfen.

Wladyslaw Szpilman: Sie fragen, ob ich gläubig bin. Wenn man zusehen
muß, wie kleine Kinder getötet werden, wie sie an die Wand geschlagen
werden, ganz ohne Grund, wie soll ich da an Gott glauben?

Kann man noch etwas fühlen, wenn man so etwas gesehen hat?

Wladyslaw Szpilman: Ich kann nicht fühlen, nein. Ich glaube nicht mehr,
daß ich so etwas wirklich gesehen habe. Aber ich habe das gesehen, mit
meinen eigenen Augen. Ein schlechter Mensch genügt, um die ganze Welt
kaputtzumachen.

Genügt ein Mensch wie der Wehrmachtsoffizier Hosenfeld, um Hoffnung zu
haben?

Wladyslaw Szpilman: Hosenfeld war ein wunderbarer Mann. Juden oder nicht
Juden, er hat alle gerettet, auch Priester. Und ich bin sicher, daß
solche Männer für jedes Land sehr viel wert sind. Als ich ihn traf,
hatte ich keine Kräfte mehr. Da kam er und hat gesagt: "Haben Sie keine
Angst." Er hat "Sie" gesagt, nicht "Du". Die haben uns immer geduzt. Er
sprach nicht wie ein Nazi. Schon allein das hat mir geholfen. Es war
unerhört.

In Ihren Armen ist ein kleines Kind gestorben.

Wladyslaw Szpilman: Nicht in meinen Armen. Als ich es in den Armen
hatte, war es bereits tot. Ein Soldat hatte es auf dem Boden mit den
Füßen totgetreten. Ein anderes Mal, es war im kleinen Ghetto und es war
auch ein Sonntag, habe ich gesehen, wie ein Junge getötet wurde, der
seine Mütze nicht abgenommen hatte. Der Soldat hat ihn mit einer
einzigen Kugel erschossen.

Andrzej Szpilman: War das ein Soldat?

Wladyslaw Szpilman: Weiß ich nicht genau, ich war zu weit davon
entfernt.

Andrzej Szpilman: Waren im Ghetto auch Soldaten?

Wladyslaw Szpilman: Nein, das war doch das Kommando, das diese so
genannten Aussiedlungen gemacht hat.

Andrzej Szpilman: Wer war das eigentlich?

Wladyslaw Szpilman: Fragt er mich, wer das gemacht hat. Das sind diese
Kommandos gewesen, das weißt du doch.

Andrzej Szpilman: Aber was waren das für Menschen? Soldaten? Polizei?

Wladyslaw Szpilman: Das waren keine Menschen, das waren SS-Leute.

Andrzej Szpilman: Also keine Soldaten?

Wladyslaw Szpilman: Nein! Die Wehrmacht hat nichts damit zu tun gehabt.

Andrzej Szpilman: Hat man in Warschau denn Wehrmacht gesehen?

Wladyslaw Szpilman: Nur zu Beginn des Krieges, junge Menschen, die haben
ihre Arbeit gemacht.

Andrzej Szpilman: Und die waren freundlich?

Wladyslaw Szpilman: Wenn ich ihnen sagte, daß ich Musiker bin, haben sie
mich in Ruhe gelassen.

Andrzej Szpilman: Wie war das genau?

Wladyslaw Szpilman: Das interessiert doch die Dame nicht.

Andrzej Szpilman: Aber mich!

Wladyslaw Szpilman: Die jungen Soldaten waren freundlich. Es waren
Luftwaffen-Soldaten.

Andrzej Szpilman: Aha.

Wladyslaw Szpilman: Ja! Und ganz am Anfang, als das Ghetto noch offen
war, sind sie zu meinem Haus gekommen und haben Leute zum Arbeiten
geholt. Sie kamen auch in meine Wohnung. Und ich saß da und habe auf dem
Piano gespielt. Da sagten sie: "Soll er spielen!" Und sind gegangen.

Andrzej Szpilman: Das war SS?

Wladyslaw Szpilman: Nein! Sag' ich doch! Es waren Soldaten! Und was die
Generale der Wehrmacht betrifft: Der Hosenfeld, immerhin ein Offizier,
hat mir gesagt, daß der General überhaupt nichts über die schlechten
Sachen wußte.

Andrzej Szpilman: Das heißt, im Ghetto waren nur SS-Leute, Litauer,
Ukrainer und jüdische Polizei? Aber es gibt hier Behauptungen, daß die
Wehrmacht-Soldaten sich an den Morden beteiligt haben.

Wladyslaw Szpilman: Davon weiß ich nichts.

Andrzej Szpilman: Und das Kind, das in deinen Armen starb?

Wladyslaw Szpilman: Das habe ich nicht gesehen.

Andrzej Szpilman: Du kannst dich bloß nicht mehr erinnern. In deinem
Buch ist eine Szene beschrieben, wie ein Junge Essen ins Ghetto
schmuggelt. Er zog den Kopf durch das Loch in der Mauer, man hat ihn von
hinten getreten, und seine Wirbelsäule ist zertrümmert.

Wladyslaw Szpilman: Das war 1942, ja. Und wieviel Zeit ist seither
vergangen? Ich möchte mich nicht daran erinnern.

Andrzej Szpilman: Wann hast du dein Buch zuletzt gelesen?

Wladyslaw Szpilman: Ich hab' es nicht mehr gelesen - und Schluß!

Andrzej Szpilman: Wirst du das Buch lesen, an dem wir hier neun Monate
lang gearbeitet haben?

Wladyslaw Szpilman: Nein. Ich möchte diese Hölle nicht noch einmal
überleben! Du kannst mich nicht dazu zwingen!

Andrzej Szpilman: Das will ich auch nicht. Keiner verlangt das.

Wladyslaw Szpilman: Du verlangst das. Aber ich möchte vergessen, daß ich
das überlebt habe. Ich muß ruhig sterben. Ich war nach dem Krieg nie in
Treblinka (zeigt auf seinen Sohn): Der war dort! Ich nicht. Meine ganze
Familie ist dort ermordet worden. Dort platzt mein Herz.

Andrzej Szpilman: Du sollst auch nicht hinfahren.

Wladyslaw Szpilman: Aber du warst dort!

Andrzej Szpilman: Ich bin hingefahren. Da habe ich zum ersten Mal
erfahren, wo das Ghetto in Warschau überhaupt war. Können Sie sich das
vorstellen? Ich habe 27 Jahre dort gelebt und nicht gewußt, wo Ghetto
und Umschlagplatz waren. Wo die Treppe war, hat meine Oma gelebt, st
immt's?

Wladyslaw Szpilman: Ja.

Andrzej Szpilman: Wir waren tausendmal da. Aber er hat nie gesagt, daß
an dieser Ecke das Haus meiner Oma stand. Wie sollte man das wissen, daß
man Jude ist, wenn man nicht mal wußte, wo das Ghetto war. Überall gibt
es Denkmäler für die polnischen Widerstandskämpfer. Aber es gibt keine
Denkmäler für die Juden, obwohl ein Drittel der Bevölkerung von Warschau
Juden waren.

Wladyslaw Szpilman: Unsinn.

Andrzej Szpilman: Außer einem Monument.

Wladyslaw Szpilman: Einem großen Monument!

Andrzej Szpilman: Wo der Umschlagplatz gewesen ist, war vor fünfzehn
Jahren noch eine Tankstelle. Am Platz der Deportation habe ich mein
Leben lang getankt.

Und auch das Haus Ihrer Mutter wollten Sie nicht zeigen?

Wladyslaw Szpilman: Es war nur eine Ruine. Man hat ein neues Haus
gebaut.

Ihr Bruder, Henryk, könnte vielleicht noch leben, wenn er sich nicht
geweigert hätte, jüdischer Polizist zu werden.

Wladyslaw Szpilman: Ich hab' ihm gesagt, er soll es machen. Aber er hat
gesagt: nein. Drei Monate zuvor hatten sie ihn schon mal geschnappt, ich
bin dann zur jüdischen Polizei gegangen und habe für meinen Bruder
gesprochen. Und er durfte gehen. Als mein Bruder nach Hause kam, sagte
er: Wie kannst du nur zu so einem schmutzigen Mann gehen und ihn darum
bitten, daß ich freikomme. Ich sagte: Wenn nicht, dann wärst du nach
Treblinka gegangen.

Andrzej Szpilman: Wußte man da schon, was das bedeutet?

Wladyslaw Szpilman: Ich wußte das genau.

Andrzej Szpilman: Wußten es alle?

Wladyslaw Szpilman: Ich habe keine Umfrage gemacht. Manche Leute wußten
das. Wir wollen nicht weiter darüber reden. Sie werden nicht gut
schlafen. Und ich werde auch nicht gut schlafen. Das ist vorbei. Allein
daß ich lebe, ist ein Wunder.

Dennoch ist es gut, daß Sie das Wunder an Ihren Sohn weitergeben
konnten. Und jetzt, durch das Buch, an viele andere Menschen.

Wladyslaw Szpilman: Ich habe es nicht an ihn weitergegeben. Er hat es
sich genommen. Er hat das erste Buch heimlich gelesen. Jetzt hatte er
die Idee, es noch einmal erscheinen zu lassen. Er hat die ganze Arbeit
gemacht. Haben Sie das Foto auf dem Buch gesehen? Das wunderbare Foto
hat er gemacht. Ich habe nichts dazu beigetragen.

Andrzej Szpilman: Jetzt habe ich eine CD mit deiner Musik
herausgebracht. Freut dich das gar nicht?

Wladyslaw Szpilman: (lacht). Du bist ein phänomenaler Mann.

Andrzej Szpilman: Aber du weißt genau, daß das Buch wichtig ist?

Wladyslaw Szpilman: Für mich ist es nicht wichtig.

Andrzej Szpilman: Für dich nicht. Aber es gibt hier wieder
Neofaschisten.

Wladyslaw Szpilman: Und die Neofaschisten bleiben Neofaschisten, mit
oder ohne mein Buch.

Andrzej Szpilman: Es gibt Leute, die wollen keine Geschichten aus der
Vergangenheit mehr hören.

Wladyslaw Szpilman: Manche sagen das. Aber das Volk hat 80 Millionen
Leute. Und es sind vielleicht hundert Menschen, die das sagen.

Andrzej Szpilman: Vielleicht ist es an der Zeit, daß man darüber nicht
mehr redet?

Wladyslaw Szpilman: Unsinn. Man muß verhindern, daß die Leute vergessen.
Aber in Deutschland kommt kein neuer Faschismus.

Andrzej Szpilman: Nein?

Wladyslaw Szpilman: Nein! Die Leute sind zu klug dafür.



©DS - Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt,
6. März 1998, Nr.10 1998
Photos mit freundlicher Genehmigung von Jens.Wunderlich@t-online.de
www.jens-wunderlich.de





“The Pianist’s Story” – An Evening With Andrzej Szpilman

On May 14, 2003 Andrzej Szpilman, son of Wladyslaw Szpilman – The Pianist, was featured for an evening of talk and music at the Polish Embassy in Washington, DC. The event was co-sponsored by The Thursday Dinner Society as inspired by Polish King Stanislaw August Poniatowski. Mr. Szpilman (left) addressed the audience at length concerning the life and times of his now famous father. He told the very interesting story of how and why his father wrote the book The Pianist: The Extraordinary True Story of One Man’s Survival in Warsaw, 1939-1945. Recently the book was made into the celebrated and internationally acclaimed movie The Pianist by director Roman Polanski.

Also recounted were many personal and professional anecdotes and vignettes on all aspects of Wladyslaw Szpilman’s life which held the audience spellbound for over one hour.

The Szpilman presentation was followed by a lively and very informative question and answer period as well as an interlude of entertaining piano music and a sumptuous Polish buffet.


text and photographs by Richard P. Poremski

Published originally in Polish American Journal, Buffalo, NY.



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© Andrzej Szpilman 2004